vielleicht ist nicht genug 

oder 

die Sehnsucht nach Leben

Teil 1

Es lag am Weg ein Steinchen,

 hatte wie alle Steine

natürlich keine Beine,

hat zwei dunkle Steinaug,

konnte sehen,

doch ohne Beinchen

konnte es nicht gehen!

Es lag ganz vorn am Wegesrand,

konnt sehen bis zum Zaunenband.

So war es lange Zeit zufrieden

und blieb nah bei den andern liegen.



Jahr für Jahr, und Tag für Tag

Steinchen neben Steinchen lag.

Am Wegesrand zuhause bleiben,

sich ab und zu am andern reiben,

so ist es bei den Steinen Brauch,

und für das Kleine gilt das auch!

Dem Steinchen blieb das nicht genug,

es wollte werden groß und klug:

"Ich möcht gern weiter,

von der Welt mehr sehen,

kann leider, leider nur nicht gehen!

Da sprengt daher ein wilder Reiter,

er fuchtelt und schreit Hopp, Hopp, Hopp!,

und treibt sein Pferd in den Galopp!

In dem wilden Jubelritt,

der Pferdefuß auf Steinchen tritt

und schleudert es im hohen Bogen,

das Steinchen wird geflogen

in einen dunklen Wald!


Es knallt von Baum zu Baum,

es schallt und hallt,

wie Schuss an Schuss im Waldesraum!

Des Steinchens harter Leib erbebt,

wachgerüttelt, tief bewegt,

spürt Steinchen, dass es lebt!

Dann wird es still in diesem Wald.

Da spricht ein großer Stein:

"Ich sitz hier tausend Zeiten bald,

hab immer noch kein Bein!

Hier ist mein Platz,

ich will nicht fort!

Ich seh den Mond,

den goldnen Schatz,

der mich belohnt

an diesem stillen Ort."

Das Steinchen spricht:

"Das reicht mir nicht.

Ich will mich spüren, hören, wissen,

will Blumen, Tiere, Menschen sehn,

ich will nichts mehr vermissen,

am allerliebsten würd ich gehn!"

"Vielleicht", so sagt der große Stein,

"hast du Glück - du bist ja klein,

wie leicht du einem Kind gefällst,

das nimmt dich mit in seine Welt,

vielleicht!"

"Ja,

ich glänze und bin rund,

wieg nur ein kleines Teilchen Pfund,

ein Kind wird mich entdecken,

und mich in seine Tasche stecken,

vielleicht!"

So kann´s wohl sein,

das Steinchen wartet brav und fein!

Tage, Wochen, Jahr für Jahr!

"Vielleicht wird´s doch nicht wirklich wahr!

Vielleicht bleibt Wunsch auch nur ein Traum",

flüstert sanft der Tannenbaum.

"Vielleicht auch nicht," 

das Steinchen trotzig widerspricht.


Wer stört die Ruh? Ein Kinderschuh!


"Schau, Papa, so ein schöner Stein,

den nehm ich mit!",

und steckt ihn ein!

In Karlchen´s dunkler Hosentasche

liegt Steinchen neben Gummilasche.

Der Junge hüpft und springt

und pfeift und singt

ein Lied, das endet und von vorn beginnt!

Das Steinchen wollt gern bleiben,

in Karlchens Tasche sich die Zeit vertreiben!

Doch Karlchen rennt auf eine Brücke,

greift in die Tasche, packt den Stein,

und durch die schmale Lücke

schmeißt er ihn in den Fluss hinein!

Platsch, das Wasser nimmt ihn mit,

ein Strudel fasst ihn beim Genick

und wirbelt ihn durch tiefe Schluchten,

dass es dem Steinchen schwindlig wird,

vorbei an vielen Buchten.

Nun ist es vollends ganz benommen,

da kommt ein dicker Fisch geschwommen,

der wollt das Steinchen fressen,

und hat es in sein Maul genommen,

doch Stein kann man nicht essen,

das hat der Fisch vergessen!

Der Fisch schwimmt zu den Quallen

hinaus ins offene Meer,

das Steinchen lässt er fallen,

es ward ihm bald zu schwer.

Das Steinchen sinkt bis auf den Grund des Meeres nieder,

da schläft es nun und träumt schon wieder!

"Vielleicht kommt morgen schon vorbei

ein großer Fisch, vielleicht ein Hai,

ein Taucher oder Felsenspringer,

die Meerfee mit dem Zauberfinger!

Vielleicht!"

Das Wasser sprudelt heiter:

"Willst du schon wieder weiter?"

"Ja, gern, doch sag mir wie?

Liegenbeiben!Nein, nein, niemals, nie!"

"Vielleicht kommt morgen schon vorbei

ein großer Fisch, vielleicht ein Hai,

ein Taucher oder Felsenspringer,

die Meerfee mit dem Zauberfinger!

Vielleicht, oder auch nie!?

Große Frage in der kleinen Melodie!"

Verstehst du "vielleicht" das Steinchen?

Die Sehnsucht nach den Beinchen?

Du kannst träumen, kannst auch tun,

du musst nicht bleiben, warten, ruhn!

Du kannst sofort beginnen,

Steh auf, lass keine Zeit verrinnen!

Du hast zwei Beine!

Steinchen hatte keine!

Weiter, immer heiter,

vorwärts, strebe weiter,

trau dich fort,

von Ort zu Ort,

schau die Welt genau dir an,

was Steinchen hätt so gern getan!

Du hast zwei starke Beine,

Steinchen hatte leider keine!

Wenn du noch lernst das Schwimmen

und in die Tiefe tauchen,

kannst du die Welt der Wunder sehn,

vor deinen Augen wird es flimmern,

in Tiefen ist es wunderschön!

lass keine Zeit verrinnen,

steh auf, du kannst beginnen!

"Vielleicht" ist nicht genug,

"vielleicht" bleibt lang, vielleicht für immer!

Vielleicht ist Leben im Zeithinterzimmer!

vielleicht macht niemand klug!


"Selbst" ist der Meerfee Zauberwort,

das dir Mut macht und führt fort!

Ob mit, ob ohne Angst,

geh selbst hinaus - du kannst!

Du musst nicht warten

wie die Steine,

du hast Beine,

du hast Hände,

geh, schwimm, tauch

berühr und öffne Wände,

und verschlossene Herzen auch!

Lebendig ist, der sich bewegt,

auch über schmale Stege geht

hinaus auf den Planeten Erde!

Bewege dich und werde

ein Erdenbürger, der sich traut,

für sich und andre eine Zukunft baut!

"Vielleicht kommt morgen schon vorbei

ein kleiner Fisch, ein großer Hai,

ein Taucher oder Felsenspringer,

die Meerfee mit dem Zauberfinger!

Vielleicht, oder auch nie!"

Ewig klingende Wassermelodie!

Vielleicht ist nicht genug,

steh auf, sei und handle klug!

Gehen, schwimmen, tauchen, manchmal schweben

ist Glück im Glück in deinem Leben!

In offenen Händen trag es sanft,

und teile es, du kannst

von deinem Glück auch geben!

So wird dein Glück sich mehren,

im Regenbogenrund als Liebe schimmern,

wird Berg und Meere überqueren

und in Unendlichkeit hinüber flimmern!


Für große Kinder und Erwachsene weiter im Gedicht

Doch leider nicht für alle Menschen auf der Erde

gilt das große Wort der Zukunft "Werde!"

Todesangst in Lebensnot

Krieg und Hunger und kein Brot.

Geh bis zum Land, wo Kinder weinen,

sieh das bittre Los der Kleinen!

Angst, Gefahren, Qual und Flucht,

Warten an der Meeresbucht!

Hier gilt nicht einfach weiter, weiter...

Hier kommt nie vorbei ein Zufallsreiter,

nie die Meerfee mit dem Zauberfinger,

verschwunden oder nie gesehen

der winzigkleinste Hoffnungsschimmer!

Kannst du das verstehen?

Eingezwängt im engen Boot,

flüchten sie in neue Not!

Wer soll sie retten?

Wer soll es tun?

Entscheid du nun!

Helfen und bewegen,

oder nur ein kurzer Segen

für Flucht in neue Ketten!

"Selbst" ist der Meerfee Zauberwort,

das dir den Mut gibt und führt fort!

Ob mit, ob ohne Angst,

geh selbst hinaus - du kannst!

Du darfst nicht warten

wie die Steine,

du hast Beine!

Steh auf, bewege dich,

verweil nicht bei den Harten!

geh und überwinde Wände!

reich du einem Menschen deine Hände!

Wenn dies jeder von uns tut,

wird Liebe Wirklichkeit und alles gut!

Neubeuern, begonnen den 30.01.06

Beendet 06.08. 2019 / 12.02.2021